Der leise Abschied der Baureihe 472

Am 11. Dezember standen die Zeichen auf Abschied. Nach 45 Jahren soll die Baureihe 472 nun mit zwei Jahren Verspätung aus dem Betrieb ausscheiden. Im neuen Fahrplanjahr sehen die Dienstpläne zwar noch einige wenige Einsatzmöglichkeiten vor, diese sollen aber planmäßig nicht mit Altbau gefahren werden – so weit die Theorie am Abschiedstag.

Seit einigen Jahren bereits verkehrt eine S1 planmäßig mit Altbauzügen. Um 5:19 startet hier in Poppenbüttel die einzige Altbau-S1 nach Blankenese. 472 046 hat am Abschiedstag die Ehre.

Alt und neu: Zwei Tage vor dem Abschied konnte die Altbau S1 247082 am modernisierten Bahnhof Jungfernstieg aufgenommen werden. Außer dieser Leistung verkehren keine Altbauzüge mehr planmäßig auf der City-S-Bahn, die S2 ist seit längerer Zeit auf Neubaufahrzeuge umgestellt.

Die Tunnelstationen der S-Bahn werden seit einigen Jahren schrittweise modernisiert, vergleichsweise schnell war man am Jungfernstieg. Andere Stationen erstrahlen bald schon zwei Jahre in identitätsstiftendem Schwarz. Vor wenigen Monaten hielten hier die ersten neuen Zugzielanzeigen Einzug, genauso wie am Flughafen, an der Holstenstraße und Stadthausbrücke. Sie sorgen hier für den perfekten Kontrast zwischen der Moderne und den Oldies der S-Bahn.

Die persönliche Abschiedsrunde führte mich einmal auf dem für Altbauzüge inzwischen ungewöhnlichen Weg von Poppenbüttel über Jungfernstieg nach Blankenese. Dort fiel diese Schmiererei am Mittelwagen 473 058 auf.

In Blankenese bleibt die Altbau-S1 am Bahnsteiggleis 1 stehen, um dort eine gute Dreiviertelstunde später als S11 nach Poppenbüttel einzusetzen – Zeit genug für Bilder, die in der Spät-HVZ nicht immer klappen: Ein Foto der S11 ohne S1 im Weg. 472 058 wartet auf seinen Einsatz als S11, während nebenan auf Gleis 3 die S1 zum Hamburg Airport und nach Poppenbüttel einfährt.

Zwischendurch kamen sie dann doch, die S1en. Der Bahnhof Blankenese ist seit fünf Jahren eine Baustelle, wirklich fertig scheint man immernoch nicht zu sein. Symptomatisch für die Modernisierungsstrategie der DB: Überall anfangen, hier und da mal etwas tun, aber auch nach einem halben Jahrzehnt nicht fertig werden.

In Othmarschen wurde dann auf die nächste Altbau-S11 gewartet. Nur noch vier der ursprünglich neun Altbaukurse können gefahren werden, da sich der Bestand am Morgen auf acht betriebsfähige Fahrzeuge reduzierte. Im Morgengrauen wurden die Einheiten 260 und 226 in den Hafen gebracht. Damit sollte der hier zu sehende 472 016 der letzte Erstserienzug in Betrieb werden.

Am Dammtor kam es dann in der blauen Stunde zu einem Verspätungskrimi. Sowohl die S11 nach Ohlsdorf, auch hier 472 016 an der Spitze, als auch der im Hintergrund stehende Nightjet waren verspätet. Zum Glück fiel der NJ unerwartet kurz aus, vielleicht lag das auch an den vorn mitgeführten Doppelstockschlafwagen.

Einige Fotomotive werden erst durch eine Pandemie möglich, so z.B. eine nach Blankenese fahrende S11 am Dammtor. In normalen Zeiten würden hier um diese Uhrzeit die Studierenden in Scharen zur benachbarten Universität pilgern, in Zeiten der digitalen Lehre bleiben diese Ströme zum Glück aus. 472 037 fährt in wenigen Augenblicken mit 472 038 ab.

Der hintere Triebzug 238 erhielt im Mai 2019 als letzter Zug der Baureihe 472/473 eine Hauptuntersuchung, welche durch die Verzögerungen bei der Baureihe 490 nötig wurden.

Die nächste S11 sollte bereits in Altona enden und nach Stellingen aussetzen. 472 034 mit 472 062 kurz vor Abfahrt im weitgehend fertig modernisierten Bahnhof Altona.

Den letzten S11-Aussetzer vier Minuten nach dem vorigen Bild ließ ich aus, um ein anderes Unikum festzuhalten: Die AKN auf S-Bahn-Gleisen. Nach wie vor und auch 2021 verkehren morgens zwei Hybrid VTA-Doppeltraktionen ab Eidelstedt elektrisch weiter zum Hauptbahnhof. Die zweite A1 des Morgens bestand aus den VT 2.54 und 2.53.

Der Zug ist abgefahren. Nach einer gut viertelstündigen Sperrung am Hauptbahnhof wegen Personen am Gleis entschied sich die S-Bahn zum Aussetzen der Linien S11 und S2. Während ich auf den Altbaueinsetzer in Blankenese wartete, sollte der hier zu sehende Zugverband 234/262 als vorerst letzter regulärer Fahrgastzug Poppenbüttel erreichen.

Zum Abschied bekleckerte man sich da leider nicht mit Ruhm. Der Tf für den planmäßig letzten 472-Aussetzer des Tages hatte sogar eigens Steckschilder vorbereitet, die letztlich in der Tasche bleiben mussten. Der Altbaueinsetzer aus Blankenese wurde zum Ende der HVZ in S11-Taktlage durch den Citytunnel als Leerzug ausgesetzt. In Pandemiezeiten völlig unverständlich, Leerzüge zur HVZ zu fahren, geschweige denn die Verstärkerlinien einfach zu streichen. Sie sind verkehrsvertraglich bestellt, so war die S1 nicht selten unangemessen voll.

Da die S-Bahn aus gegebenem Anlass kein Altbau mehr zu bieten hatte, bot sich noch ein kleines Ersatzprogramm an. Die DT3 der Hochbahn drehen auch nach 50 Jahren noch wochentags ihre Runden, im Winterfahrplan auch wieder nachmittags auf der U3.

Während die zehn neuerlich sanierten Einheiten – wozu auch die gezeigten Züge 905 und 873 gehören – noch einige Zeit für Verstärkerfahrten im Bestand bleiben, soll für die übrigen acht Einheiten bald Schluss sein. Der DT5-Bestand erhöht sich derweil nur schleppend, nach einer Abnahme Anfang des Monats sollen nun in wenigen Tagen die ersten beiden Vollwerbe-U-Bahnen seit Jahrzehnten bei der U-Bahn in Betrieb gehen. Und dann wären da noch drei DT5 der neuen, zweiten Bauserie, die auf ihre Abnahme warten. Ob das das Ende der „alten“ DT3 bedeuten wird?

Nachdem der 472-Abschied ungeplant kurz ausfiel, versammelten sich einige Nahverkehrsfreunde in Altona, um einen RE6-Ersatzzug mit drei VT 628 des SyltShuttle Plus in Altona zu begutachten. DB Fernverkehr muss derzeit wieder etwas öfter bei DB Regio mit ihren „SSP“ aushelfen. In wenigen Minuten startet der Ersatzzug für RE 11026 mit den VT 628 540 „Rantum“, 628 502 „Keitum“ und 628 495 „Tinnum“ nach Westerland auf Sylt.

Zurück am S-Bahnhof überraschte der oben angesprochene Leerzug aus Blankenese. Leider konnte er nicht mit der S31 eingeholt werden. Dafür gibt es dann zum Abschluss dieses eher unrühmlichen Kapitels die S11 der Zukunft: Einen Vollzug der Baureihe 474 am Hamburger Hauptbahnhof, hier als S1 zum Hamburg Airport und nach Poppenbüttel.

Ab Montag soll sich unter die Züge der Baureihe 474 ein 490-Umlauf mischen. Die die Altbauzüge ersetzenden ET 474 sollen wohl von der S3 abgezogen werden, die ab Montag mit deutlich mehr ET 490-Leistungen beglückt wird. Da nun 81 der 82 ET 490 ausgeliefert und abgenommen sind, bleibt offen, ob und in welchem Rahmen noch einmal Altbauzüge als Reserve aushelfen müssen.

An der Stelle bleibt nur zu sagen: Machs gut, BR 472. Vielleicht schon bis Montag!? Totgesagte Reservefahrzeuge leben bekanntlich länger.