Der vierte Tag in Prag begann mit ein paar Alltagsbildern auch in Deutschland bekannter Baureihen im Prager Hauptbahnhof, ehe es zu Fuß wieder weiter zur Moldau und dem Tanzenden Turm ging. Eines vorweg: Gemeint ist nicht das Gebäude an der Reeperbahn…
Vorhang auf für einen VT 628! Naja, nicht ganz: Nach dem Verkauf an Arriva in Tschechien und erfolgter Modernisierung werden die Fahrzeuge unter der Baureihennummer 845 bzw. 945 geführt. Die alten Zugzielanzeigen sind modernen hochauflösenden Bildschirmen gewichen, solche übernehmen auch die Fahrgastinformation im Fahrzeug und an den Fahrzeugseiten. VT 845/945 204 wartet in Praha hl.n. auf neue Aufgaben.
Bereits aus dem Regionalzug sahen wir, wie ein internationaler Zug von dieser Rangierlok bereitgestellt wurde – leider waren wir etwas zu spät, um vom Zugschluss des R17 ein Streckenfoto der E458.1011 zu machen. So musste es bei einem Bild nach dem Abhängen des Zuges bleiben.
Von dieser elektrischen Rangierlok wurden von Škoda neben einem Prototypen 35 Exemplare gebaut und 1981 bis 1982 an die Tschechoslowakische Staatsbahn geliefert. Diese Baureihe war die erste mit einer Thyristorsteuerung, wodurch eine stufenlose Zugkraft- bzw. Geschwindigkeitsregulierung möglich wurde. Dadurch konnte auch Energie eingespart werden.
Langsam lösen Triebzüge die lokbespannten Züge ab. Treiber dieser Entwicklung sind die Škoda 7Ev-Triebzüge: Für den Fernverkehr wurden 2015 und 2016 vierzehn drei- bis fünfteilige Triebzüge hergestellt, die als InterPanter vermarktet werden. Für den Regionalverkehr gibt es zwei- und dreiteilige RegioPanter-Einheiten. Zwischen Januar 2011 und Dezember 2021 wurden von der ČD insgesamt 110 Einheiten bestellt und damit der ursprünglich geschlossene Rahmenvertrag vollständig ausgeschöpft. Ein Fernverkehrszug der Baureihe 660 verlässt in Kürze den Prager Hauptbahnhof auf der Linie R19 nach Blansko.
Die Züge sind nicht nur in Tschechien anzutreffen: Seit 2020 verkehren drei- und vierteilige Einheiten im slowakischen Regionalverkehr. In Lettland befinden sich ebenfalls Züge für den Regionalverkehr in Auslieferung. Ursprünglich gab es auch eine Bestellung aus Deutschland: National Express erhielt 2015 den Zuschlag für den Betrieb der S-Bahn Nürnberg ab 2018 und wollte 38 Triebzüge anschaffen. Durch einen Einspruch eines Mitbewerbers und den Verzögerungen hierdurch zog National Express die Reißleine, da eine fristgerechte Betriebsaufnahme immer unwahrscheinlicher wurde. Man zog sich aus dem Verfahren zurück und stornierte die Bestellung. Heute wird die S-Bahn Nürnberg von der DB Regio AG mit Bombardier Talent 2 und neuen Alstom Coradia Continental-Triebzügen betrieben.
Kommen wir zum nächsten Fahrzeug, was wir so, genauer gesagt so ähnlich, auch in Deutschland haben: Die Škoda 109, welche bei der ČD unter der Baureihennummer 380 geführt wird. Zwischen 2008 und 2011 wurden zwanzig dieser Lokomotiven ausgeliefert, sie erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h und sind Mehrsystemloks: Laut Anschriften an der Lok ist die 380 020 Stand Mai 2022 für den Betrieb in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Österreich und Deutschland zugelassen. Das P für Polen ist noch durchgekreuzt. 380 020 steht mit ihrem EC 90279 „Metropolitan“ / EC 279 nach Budapest-Nyugati pu zur Abfahrt bereit.
Die Loks sollten im internationalen Fernverkehr eingesetzt werden. Die erste Lok wurde 2008 vorgestellt, aufgrund der neuen Crash-Norm EN 15227 kam es allerdings zu Verzögerungen. Im Juni 2010 gelangte mit Lok 007 das erste Exemplar in den Einsatz, jedoch zunächst nur an Güterzügen. Personenzüge wurden erstmals im Dezember 2010 bespannt. Seitdem sind sie zwischen Prag, Brno und Bratislava im Einsatz. Seit 2013 erreichen die Loks auch Wien, seit 2014 Budapest. Zum Dezember 2015 sollte die Eurocity-Verbindung nach Hamburg folgen, nachdem die Loks im Mai 2015 die Zulassung für 200 km/h vom Eisenbahn-Bundesamt erhielten. Doch es kam anders: Die DB Netz AG als Infrastrukturbetreiberin verweigerte zunächst eine uneingeschränkte Zulassung – sie folgte erst 2022. Grund dafür seien vom Laufwerk verursachte unzulässige Schwingungen beim Befahren von Brücken. In der Folge mietete die ČD Vectron-Mehrsystemloks bei ELL für den zunächst zehnjährigen Zeitraum der Partnerschaft mit der DB.
Auch in Deutschland bekleckerte sich dieser Fahrzeugtyp nicht mit Ruhm: Für den München-Nürnberg-Express beschaffte die DB Regio 6 Lokomotiven des Typs 109 E3. Sie wurden 2016 gebaut und hatten umfangreiche Zulassungsprobleme. Im April 2020 verweigerte die DB Regio den Loks die Abnahme. Erst im Dezember 2020 kam die erste Lok auf der nun RE 1 bezeichneten Verbindung zum Einsatz, die übrigen Leistungen wurden bis Mitte 2021 von den neuen Škoda-Garnituren übernommen. Ein verlässlicher Betrieb ist bislang nicht möglich, aufgrund mangelhafter Fahrzeugverfügbarkeit wurde die bereits behelfsmäßige Praxis, Züge in Ingolstadt zu brechen und durch Dosto-Züge mit einer Lok der Baureihe 111 auf dem Teil nach München zu ersetzen, auf einigen Leistungen im Juni 2022 fest in den Fahrplan aufgenommen.
Der Stern der Baureihe 380 ist in Tschechien dagegen schon am Sinken: Nach Berichten im Jahr 2020 will man sich bis 2025 von den Loks trennen. Sie besitzen keine ETCS-Ausrüstung, die auf weiten Teilen des Netzes aber benötigt werden wird, außerdem seien sie unzuverlässig. Der Nachfolger steht bereits fest: Es werden 50 Vectron-Lokomotiven von Siemens beschafft, die 230 km/h erreichen sollen. Diese werden über einen Zeitraum von 15 Jahren von Siemens vollumfänglich gewartet und in Tschechien, Ungarn, Österreich, Deutschland der Slowakei und in Polen zugelassen werden. Siemens Vorteil: Langsamere Vertreter dieser Baureihen sind heute schon in allen Ländern im Einsatz…
Zurück zur altbewährten Technik in Form der Baureihe 362: 362 081 erreicht mit einem Regionalzug den Hauptbahnhof. Sie wirbt für den eShop der Staatsbahn, in dem Fahrkarten gekauft werden können.
Mit einigem Telezoom nahm ich vom Wentzelsplatz (Václavské náměstí) eine Škoda 15T der zweiten Serie vor Kulisse des Heinrichsturms (Jindřišská věž) auf.
Auf der anderen Seite befindet sich die Straßenbahnhaltestelle des Wentzelplatzes. Unter anderem auf der Linie 5, aber auch bei Metro-Ersatzverkehren, die teils Stumpfgleise befahren, fahren Zweirichtungsfahrzeuge vom Typ Tatra KT8D5, genauer gesagt vom Typ KT8D5R.N2P. Ursprünglich wurden in den Jahren 1984, 1989 und 1990 48 Dreiteiler ausgeliefert. Diese werden seit 2004 einem Modernisierungsprogramm unterzogen, wobei u.a. ein neues Mittelteil mit einem Niederflurbereich eingereiht wird. Die Modernisierung der durch Zukäufe um etwas mehr als ein Dutzend Fahrzeuge gewachsenen KT8D5-Flotte soll bis 2024 abgeschlossen werden. Das bereits modernisierte Fahrzeug 9083 überquert in Kürze den Wentzelplatz.
Immer der Nase nach erreichten wir das Neustädter Rathaus, vor dem sich eine kleine Parkanlage befindet. Diese wird von einer Hauptstraße mit Straßenbahngleisen durchschnitten. Eine Tatra T3-Straßenbahn steht an der Haltestelle Karlovo náměstí (Karlsplatz).
Es ging anschließend weiter an die Moldau zum „Tanzenden Haus“, nach dem auch die entsprechende Straßenbahnhaltestelle benannt wurde. Es wurde Mitte der 1990er-Jahre auf einer Brachfläche gebaut, die der 2. Weltkrieg hinterließ: Hier wurde ein Wohnhaus getroffen, die Fläche blieb Jahrzehnte ungenutzt. Vor dem Tanzenden Haus hat eine von Prags ersten Straßenbahnen mit Niederfluranteil angehalten: Eine Škoda 14T aus der Škoda Elektra-Familie. Das Design stammt aus der Feder von Porsche. Insgesamt 60 Züge entstanden zwischen 2005 und 2009, ein Großteil wurde zwischenzeitlich wegen technischer Mängel stillgelegt und musste saniert werden. Die Züge stehen unter anderem für ihr lautes Fahrgeräusch, aber auch festen Drehgestelle in der Kritik. Sie führen zu einem höheren Verschleiß bei den Fahrschienen.
Eine Brücke weiter südlich klappte dann überraschend trotz deutlicher Bewölkung so etwas wie ein Sonnenfoto: Tatra KT8D5R.N2P 9081 überquert die Palackého most. In Prag gibt es – von der berühmten Karlsbrücke abgesehen – nur eine ältere Brücke über die Moldau. Die Palackého most wurde 1878 für den Verkehr freigegeben und hat damit schon über 140 Jahre auf dem Buckel.
Mit einer Drehung nach rechts entstand spontan schon das nächste Bild: Eine Brücke weiter südlich verkehrt auf der Vyšehradský železniční most die richtige Eisenbahn, auf diesem Suchbild versteckt sich ein kleiner Dieseltriebwagen der Baureihe 810. Links im Bild ist die Festung Vyšehrad mit ihrer Bazilika sv. Vavřince zu sehen, der wir später noch einen Besuch abstatteten…
Vor einem vollständig bahnfreien Nachmittags- und Abendprogramm ging es in den Kopfbahnhof Praha Masarykovo nádraží. Dort wurde ein CityElefant der Prager Esko bei der Einfahrt in seinen Endbahnhof aufgenommen. Als solche bezeichnet man dreiteilige Triebzüge der Baureihe 471/071/971. Bei der Bezeichnung geht wohl nicht nur Hamburgern ein Stück weit ein Herz auf. Mit den alten Hamburger S-Bahn-Zügen haben die der Esko allerdings nicht viel gemein.
Ab 1992 entwickelten MSV Studénka (später ČKD Vagónka Studénka) den mechanischen und AEG den elektrischen Teil der komplett neu konstruierten Triebzüge. Nach der Privatisierung von MSV Studénka stieg AEG aus der Entwicklung aus und Škoda trat dafür in die Entwicklung ein. 1997 wurde ein erster Prototyp auf die Schiene gestellt, von 2001 bis 2013 wurden anschließend 82 Serienfahrzeuge gebaut. Wegen technischer Schwierigkeiten wurden ihnen im August 2002 die Betriebserlaubnis vorübergehend entzogen. 2006 wurde die Produktion schließlich für ein erstes Redesign unterbrochen – seitdem werden die Züge als CityElefant vermarktet. Kürzlich erhielt ČD-Telematika den Auftrag, mit Alstom, Škoda und AŽD Praha insgesamt 66 der (unfallbedingt nur noch) 82 Triebzüge mit ETCS-Fahrzeuggeräten nachzurüsten. Bis zum 1. Januar 2025 müssen 25 Züge umgerüstet sein, da ab diesem Zeitpunkt der ETCS-Betrieb auf den Korridorstrecken verpflichtend wird – was wie oben skizziert der Baureihe 380 zum Verhängnis werden dürfte.
Nun aber noch einmal zurück zu den rund 79 Meter langen Fahrzeugen selbst: Sie kommen überwiegend im Prager Schnellbahnverkehr zum Einsatz, zwölf Züge sind seit 2010 in Bohumin für deren Esko-Linien R1 und S1 stationiert. Bei der Entwicklung der Züge kamen einige für Tschechien neuen Technologien zum Einsatz. Dazu zählt die Fertigung der Wagenkästen aus stranggepressten Alu-Profilen, Verwendung von Sandwich-Bauweise und IGBT-Wechselrichtern mit Drehstrom-Asynchronmotoren sowie der Einbau von Klimaanlagen.
An dieser Stelle ließe sich noch einiges zur Geschichte des Bahnhofs schreiben, doch würde das den Rahmen des ohnehin schon langen Beitrags endgültig sprengen – das wird daher an anderer Stelle nachgeholt.