Der letzte Tag in Warschau

Am letzten Tag in Warschau lauerten wir Deutschem Rollmaterial fernab der Heimat auf, die Rede ist von einem Triebwagen der Baureihe 627. Schließlich schauten wir uns ein weiteres Mal den Fernverkehr mit seinen teilweise modellbahnhaften Zuglängen an – zur Überraschung begegnete uns sogar noch einmal der Euronight Paris – Moskau.

Der Morgen begann in der Nähe unserer Unterkunft nahe des Bahnhofs Sulejówek Miłosna. Während an der Straße kleinere Bauarbeiten durchgeführt wurden, fuhr eine zum gar nicht so modernen Transporter passende EP07 mit ihrem aus nur drei Wagen bestehenden Intercity an den Fotografen in Richtung Warschau vorbei.

Die entgegenkommende EP09 hatte mit ihren acht Wagen deutlich mehr zu tun. Wenige Meter vom Fotostandort entfernt enden die Abstellgleise der SKMWA-Linie S2, sie besitzt in Sulejówek Miłosna ihren südöstlichen Endpunkt.

Wie schon am ersten Tag gab es wieder einige EN57 zu sehen, zunächst diesen modernisierten EN57AKM. Für ihn geht es als R2 von Warschau nach Mińsk Mazowiecki. Damit ist allerdings nicht die belarusische Hauptstadt Minsk gemeint, sondern eine von hier etwa 20 Eisenbahnkilometer entfernte Stadt in der Region Masowien mit rund 40.000 Einwohnern.

In unserer Anwesenheit stellten die Bauarbeiter einen neuen Lichtmasten auf, dem noch das Leuchtmittel an der Spitze fehlt. Davon gänzlich unbeeindruckt passiert uns dieser FLIRT in Richtung Warschau.

Auch aus Warschau kommend konnten wir einen Modellbahn-IC, bestehend aus einer EP07 und drei IC-Wagen, aufnehmen.

Leider fuhren die Bauarbeiter ein paar Minuten zu früh wieder los. Sieben der dreizehn für die DB gebauten VT 627 fanden nach ihrer Ausmusterung bei der DB eine zweite Heimat bei der Koleje Mazowieckie. Dabei handelt es sich um gemeinsam mit dem VT 628 entwickelte Dieseltriebwagen. Anders als die zweiteiligen VT 628 bestehen die VT 627 nur aus einem einzelnen Wagen mit zwei Führerständen.

Die acht Fahrzeuge der ersten Bauserie von 1974 erhielten zur Erprobung zwei verschiedene Motoren, 1981 folgten fünf überarbeitete Erprobungsträger. Zu einer Serienfertigung kam es – anders als bei den VT 628 – nie. Bis 2006 schieden die Fahrzeuge in Deutschland aus dem Betrieb aus. Zwischen 2004 und 2006 übernahm die Koleje Mazowieckie sieben Fahrzeuge und modernisierte sie umfassend, so erhielten sie z.B. ein modernes Fahrgastinformationssystem und den passenden grün-weiß-gelben Lack der Koleje Mazowieckie. Die deutschen Fahrzeugnummern blieben den nun polnischen Triebwagen erhalten: VT 627 105 und 104 dieseln an den Fotografen auf dem Weg nach Warszawa-Wschodnia vorbei.

Nach dem Foto ging es ins Auto, um hinterherzufahren. Doch kam aus Richtung Warschau noch dieser RE21 nach Czeremcha in Form eines Newag Impuls vorbeigefahren.

Den Warschauer Ostbahnhof Wschodnia erreichten wir für die Rückfahrt des VT 627-Doppels noch rechtzeitig. Am Bahnsteig entstand dieses Bild des VT 627 104. Für ihn wird es wenig später als RE 6 nach Tłuszcz gehen.

Das Anschlussprogramm war dann wieder internationaler Art: Der EC 41 aus Berlin nach Warschau. Bis zur pandemiebedingten Einstellung der EC-Verbindung im März 2020 fuhr dieser EC planmäßig mit einer Vectron-Lokomotive. Da die PKP Intercity selbst keine hat, kamen in aller Regel MRCE-Loks zum Einsatz. Nicht aber am 30. Dezember, als der Zug von einem Vectron der slowakischen ZSSK gezogen wurde. ZSSK 383 202 erreicht mit dem EC 41 Warszawa-Wschodnia. Nach der Rückkehr aus der Corona-Pause standen wieder genug Eurosprinter ES 64 U4 für die EC-Verbindung nach Berlin zur Verfügung.

Nach dem Eurocity fuhren wir an eine Hauptstrecke vom Warschauer Westbahnhof in Richtung Südwesten. Die Strecke Warszawa Zachodnia – Grodzisk Mazowiecki wurde dank EU-Fördermittel umfassend modernisiert und erhielt 2018 im selben Zuge einen neuen Bahnhof für die Regionalzüge: Parzniew. Bevor hier aber ein Zug anhalten sollte, rauschte ein Pendolino der PKP Intercity an uns in Richtung Warschau vorbei.

Der ED250 hält aktuell den polnischen Geschwindigkeitsrekord für Züge: Bei einer Probefahrt erreichte der Hochgeschwindigkeitszug eine Höchstgeschwindigkeit von 293 km/h am 24. November 2013 zwischen Warschau und Krakau. Die für ursprünglich 250 km/h konzipierten Züge können aufgrund der Infrastruktur allerdings an keiner Stelle des polnischen Eisenbahnnetzes schneller als 200 km/h fahren – da derzeit nur ETCS Level 1 zur Verfügung steht. Für die 250 km/h bräuchte es ETCS Level 2 und erneute Abnahmefahrten.

Vertraglich sicherte Alstom die Zulassung der Züge in Polen, Deutschland, Österreich und Tschechien zu. Hierfür haben die Fahrzeuge zusätzlich Technik für den Betrieb unter PZB, LZB und MIREL erhalten. Eine Zulassung für Tschechien gelang im Herbst 2019, ein Einsatz unterblieb aber bislang. Auch in Deutschland fanden bereits Probefahrten zwischen München und Ingolstadt statt, bei einer Fahrt verunglückte der Probezug. Während einer Probefahrt, bei der der Pendolino geschleppt wurde, riss der Bremsschlauch bei 30 km/h und der Pendolino kollidierte mit der Zuglok, da diese einen kürzeren Bremsweg hatte. Obwohl bereits Pendolinos der Schweizer Bundesbahnen in Deutschland eingesetzt werden, steht eine Zulassung der technisch nicht identischen polnischen Pendolinos bis heute aus.

Vom Bahnsteigende nahmen wir als nächsten Zug den Euronight Paris – Moskau auf. Westlich von Warschau wird an dritter Stelle noch ein Bordbistro von PKP Intercity mitgeführt. Für die Traktion sorgte an diesem Tag die EU07-317. Nachdem wir im Blogbeitrag des Vortages bereits umfangreich vom Talgo-Zug berichteten, wollen wir an der Stelle auch noch etwas zu diesem internationalen Zug erzählen.

Zwischen Paris und Offenburg wurde der Zug planmäßig von einer MRCE-185 gezogen. Dort erfolgte der Wechsel auf eine Lok der Baureihe 101 (oder 120), welche die Traktion im Deutschen Abschnitt bis Berlin-Lichtenberg übernahm. Zwischen Berlin-Lichtenberg und Brest kam eine Siemens ES 64 U4 von PKP Intercity zum Einsatz. In Brest angekommen, standen etwa zwei Stunden für das Umspuren des Zuges samt Lokwechsel zur Verfügung. Anders als bei den Talgo-Zügen lassen sich die Reisezugwagen nicht einfach umspuren – hier ist bzw. war ein Tausch der Drehgestelle von Nöten. Planmäßig bestand der Zug aus 11 Liegewagen. Bei seiner Reise durch fünf Staaten legte der Zug in gut 39 Stunden eine Strecke von etwas mehr als 3000 Kilometern zurück.

Nachtzüge auf dieser Relation sind zudem nicht neu: Bis Sommer 1994 gab es über mehrere Jahrzehnte bereits einen Nachtzug von Paris nach Moskau, damals als D 240/241 „Ost-West-Express“ bezeichnet. Mit dem Sommerfahrplan 1994 wurde die Verbindung bis Brüssel verkürzt und zum Sommerfahrplan 1998 schließlich komplett eingestellt. In der Folgezeit wurden noch Kurswagenverkehre über Warschau bis Köln oder Brüssel angeboten. Im Dezember 2011 startete dann mit der Russischen Staatsbahn RŽD als Betreiberin der neue Nachtzug, nun als EN 452/453 bezeichnet. Bis Dezember 2019 führte der Laufweg noch über Strasbourg und Karlsruhe, seitdem wurde über Saarbrücken gefahren. Im März 2020 fiel die Verbindung der Pandemie zum Opfer, an den zuletzt geplanten Termin für eine Wiederaufnahme des Verkehrs im Dezember 2022 muss man aus allgegenwärtigen Gründen ein großes Fragezeichen setzen…

Direkt am Bahnhof Parzniew befindet sich ein Bahnübergang, der gefühlt länger geschlossen als geöffnet ist. Neben dem dichten Verkehr auf gleich vier Gleisen ist auch die Räumzeit länger. So können die Schranken unter Umständen auch mal für ein halbes Dutzend Züge geschlossen bleiben, hier lohnt sich das in der Fahrschule gelernte Motor abstellen am Bahnübergang also tatsächlich.

Der achtteilige FLIRT 3 ist nicht der einzige moderne Fernverkehrstriebzug der PKP Intercity, auch diese achtteiligen PESA Dart (ED161) werden im Fernverkehr eingesetzt. Für die Entwicklung dieses Triebzugs erhielt der Hersteller PESA vom Nationalen Zentrum für Forschung und Entwicklung Fördergelder in Höhe von 7 Millionen Zloty, das entspricht umgerechnet etwa 1,5 Millionen Euro. Im Mai 2014 bestellte PKP Intercity 20 Triebzüge, der erste von ihnen nahm am 29. Dezember 2015 den Betrieb auf. In den folgenden Wochen wurden die übrigen Züge ausgeliefert. Eine bestehende Option auf 10 weitere Züge wurde nicht eingelöst. Wie auch der zeitgleich beschaffte FLIRT 3 erreicht der PESA Dart eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h und besitzt ein kleines Bordbistro.

Auf den „Regionalgleisen“ fuhr dann ein Regionalzug der Linie R1 nach Warszawa-Wschodnia in Form eines EN57AKM ein. Das Einsatzende dieser Oldies noch längst nicht abzusehen, die Fahrzeuge scheinen irgendwie unverwüstlich zu sein.

Die Verkehrsdichte an der Strecke sprachen wir eben ja schon an, dieses Bild veranschaulicht sie nochmal etwas: Ein PKP IC-FLIRT überholt einen in Parzniew haltenden Regionalzug.

Etwas später konnte nochmals eine Newag Impuls-Doppeltraktion der Koleje Mazowieckie aufgenommen werden, die Fahrzeuge sind wie man vielleicht ahnen kann nicht fotografierfreudig: Die LED-Spitzenlichter flackern und sind nicht immer auf Bildern vollständig zu sehen. Glücklicherweise reichte es bei dieser Auslösung für immerhin ein „halbes“ Spitzenlicht unten links.

Nächster und letzter Halt war nochmals Warszawa Dawidy unweit des Flughafens, quasi um die Reise so abzuschließen, wie sie begann: Mit einem unmodernisierten EN57 der Koleje Mazowieckie. Hierbei scheint es sich zufällig um den tausendsten Triebzug zu handeln. Danach stand nur noch die Rückgabe des Mietwagens und der Rückflug nach Hamburg an – nach vier ereignisreichen Tagen im Osten Europas.

Beitrag veröffentlicht im Mai 2022.